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Sucka! Halt mich fest.

 

 

 

 

Und da laufen sie wieder, die Bierflasche in der Hand, über die Straße. Halten sich fest am gläsernen Freund, oder er hält sie fest, sorgt dafür, dass sie nicht straucheln in den Unbilden des Lebens. Der Freund, dessen Inhalt Entspannung, Glück und Ausblenden der Realität schenkt oder doch verheißt, oder es geht einfach nicht mehr ohne ihn und die Flasche mit Bier oder Sprit gefüllt, ist die nichtelektronische Fessel des abhängigen Menschen. Von irgendetwas oder von irgendwem sind wir alle abhängig, ob wir es wollen oder nicht, ob es uns bewusst ist, oder nicht. Wir sind oralfixiert. Nach all den Jahren der Entwöhnung von Mamas Brust oder der Pulla (Babyflasche) und des Nuckis (Schnullers) sehnen wir uns auch im fortgeschrittenen Alter nach Trost, wir wollen in einigen Momenten des Lebens einfach nur vor uns hinlullern, den Blick währenddessen, falls möglich, ins Nirgendwo schweifen lassen, hingebungsvoll an etwas saugen, nuckeln. Die Kettenraucher bekämpfen ihre Nervosität, ihren Stress mit einer Fluppe nach der anderen, ständig brennt es im Gesicht, so wie es im Nervenkostüm brennt. Schön ist das auch bei den E-Zigaretten-Usern zu beobachten, so wie man sie erlebt, vor Gebäuden, auf dem Fahrrad (!) oder im anderen öffentlichen Raum, sie alle scheinen von erzgebirglichem Blute zu sein, saugen sie doch beharrlich an ihrem E-Pfeifchendingsda und stoßen permanent schwülstigen Kirsch-Vanille-Aroma-Rauch aus wie ein gar putziges Räuchermännlein im Hoodie, unter der Basecap oder gar im Businesslook.

 

Zungenvergleich

 

Und, man überlege: Wozu gibt es Lollies? Zuckerstangen? Tabakpfeifen, die fast nonstop zwischen die Lippen geschoben werden? Es kann gleichzeitig an etwas festgehalten UND gesaugt werden. Also beste Unterstützung und Trost im harten Alltag. Das Zuckerzeug hat zudem noch den leckeren Süßeffekt, der das Belohnungszentrum freudig stimmt, indes die Freude nicht von den Zähnen geteilt wird. Überhaupt geht mit dieser Nuckelei häufig auch etwas Schädliches einher; die Zähne leiden auch beim Rauchen, der Gesamtkörper sowieso, der Nikotingeruch geht eigentlich gar nicht, alles ist teuer, ungesund, hinterlässt Spuren, wobei die beim Leckersverzehr auch manchmal ganz hübsch sein können, vielleicht erinnern sich die Nicht-Kindgeblieben auch noch dunkel daran, wie man früher miteinander den Zungenvergleich anstellte, nachdem man hardcore rote Kirschlollies oder giftiggrüne Waldmeisterlutscher bearbeitet hatte.

 

Essen ist auch so ein Liebesersatzding. Oder so ein Ich-will-wieder-Baby-sein-Surrogat. Immer schön was in die Schnute stopfen, scheiß auf Adipositas, Diabetes und Bandscheibenvorfälle. Sahne ist so schön schmalzig-fettig am Gaumen, Schokolade muss gar nicht erst großartig erwähnt werden- ich bin hinlänglich Mars Kingsize erprobt #Heimwehbrauchtschoki -  Chips, Pizza, Kuchen…hach ja, her damit. Und weil das Fresschen nun mal keinen Menschen ersetzt, nicht küssen oder Liebe machen kann, braucht man immer öfter immer mehr vom kalorischen Methadonprogramm.

 

Wir suchen Halt, wir suchen Trost, wir suchen Ablenkung, wir wollen eine Auszeit von der Verantwortung.

 

Schnullertrend

 

Yo, auch in anderen Lebensbereichen, beim Knutschen. Da wird heftigst gesaugt und geschnuckelt und wie flott ist da ein Liebeshämatömchen am Halse oder an anderer Stelle entstanden. Während des Entstehungsprozesses hat man bestenfalls ein wunderfeines Vakuum im Kopf, komplett die Umwelt vergessen und will nur eins: Nämlich mehr davon. Noch mehr heftige, noch mehr lange und intensive Küsse austauschen, sich festsaugen am anderen.

 

Und danach erfüllt den Menschen Befriedigung.

 

So wie nach der Pulla oder während des Daumenlutschens, des Beschnullern des Nuckis.

 

Deshalb sind Rauchen, Trinken, Pfeife schmauchen und so weiter nicht unbedingt was für die ganzen Kerle oder für die Ultras der Erwachsenheit, sondern (m.E.!) für die eher unbefriedigten, die eigentlich noch ganz viel Schmusi und Fläschchen brauchen.

 

Vor vielen Jahren verbrachte ich die Sommerferien mit einer Jugendgruppe in Österreich. Die Älteren setzten einen Trend, zu meiner Faszination (ich war jung und die Älteren per se kool), trugen sie an einem Band Schnuller um den Hals. Ab und an wurden die auch fachgerecht besaugt, tatsächlich war es aber wohl nur ein pubertäres Accessoire. Ich musste jedenfalls auch sofort so ein Ding haben; immerhin trauere ich bis heute darüber, dass man mir das Daumenlutschen abgewöhnte.

 

So richtig setzte sich diese Idee nicht durch, was mich bei all den beknackten Trends, die immer mal so aufglühen, doch überrascht und hierbei auch ein bissi enttäuscht.

 

Beim nächsten dm Besuch werde ich nicht nur die Hippgläschen besuchen und circa 20 kaufen, sondern auch mal angelegentlich bei den Schnullis stöbern. Irgendwo fliegt hier in der Süßschublade bestimmt auch noch ein Chupa Chup herum.

 

Und ihr so?

 

Photo: Unsplash

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Alex Weber (Donnerstag, 28 März 2019 04:05)

    schau doch mal ins Fitnesstudio, wie sie alle am Fläschcen saugen, oder an einer modernisierten Form der Schnabeltasse. Was du übrigens ebenso beim halbgaren Schülervolk in den diversen Öffis sehen kannst. Und die urcoolen Erfolgstypen mit ihrem Coffee to go dürfen da nicht fehlen. Da muten einem die Kinderwagenbabies direkt schnullerarm an!