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Auf der Arbeit. C-Bitch

 

 

 

 

Ich bin für meine Verhältnisse früh unterwegs und entsprechend beizeiten in der Schule.

 

Im Parkhaus fragt mich einer der Lieblingskollegen: „Wann sind noch mal Herbstferien?“ „Das willst du nicht wissen“, lache ich, meinen Autoschlüssel verstauend.

 

Im Lehrerarbeitszimmer herrscht bereits geschäftige Betriebsamkeit, wie man sie sonst nur von so kurz vor acht kennt. „Wann muss ich eigentlich morgens losfahren, um mal was kopieren zu können?“, fragt eine der Lieblingskolleginnen mit einem verzerrten Grinsen, das man unter ihrer Maske nur ahnen kann. Ihre leicht scharfe Ironie zerschneidet ein wenig die ungesunde Luft, bestehend aus Aerosolen, die hier trotz Masken und Tatütataschutzmaßnahmen bestimmt irgendwo lauern, aus Kopiererdämpfen, Geplappergeräuschen und dem ersten Missmut des Tages.

 

„Bitte jeder nur ein Kreuz“, scherzt der Kollege trocken und ich muss lachen. Derweil ich mich bereits frage, ob ich in den A- oder B-Kurs muss und wo das Klassenbuch sich befindet und welcher Raum ist das jetzt noch mal? Die Treppen werden immer steiler, mein menopausegeschädigtes Geläuf schmerzt; die Schüler sind gut drauf und desinfizieren sich ohne Murren die Hände; meine Hände haben bereits einen Ausschlag von dem Zeugs.

 

Wir diskutieren darüber, ob man als Rehabilitand noch Chancen auf dem Arbeitsmarkt hat (ja, hat man) und ob man den Grad der Behinderung und andere nette Krankheits- Applikationen im Anschreiben und oder im Lebenslauf der Bewerbung erwähnen soll (kommt darauf an, wo und wie und überhaupt).

 

In der Pause ist das Getöse der durcheinandersprechenden Stimmen im Lehrerzimmer ohrenbetäubend, das beeinträchtigt, neben vielem anderen derzeit,  meinen Appetit. Schon vor dem Frühstück würde ich am liebsten eine rauchen, das will ich sonst nie. Täte dem Magen aber sicher auch nicht gut. Im nächsten Block sollen die Schüler ihre Unterschriften auf ein Blatt Papier schreiben (auf der Rückseite in Druckbuchstaben), zum Einscannen für die Bewerbungen. Für manche stellt das eine Herausforderung dar: „Wie soll ich denn da unterschreiben?“ „In der Mitte oder oben?“ „Arztschrift oder wie?“ Eine Schülerin verschreibt sich, bekommt einen neuen Zettel.

 

Sie schreibt mit dem Vermerk: „So unterschreibe ich.“ Also wieder ein neues Blatt. Ein weiterer Schüler verschreibt sich, streicht durch, schreibt neu… Neues Blatt.

 

Ein Schüler, der nach einer Tumor-OP eine große Narbe auf der Stirn hat, sagt: „Man will nicht, dass ich Auto fahre. Ich fahre seit 40 Jahren Auto.“ Die Arme verschränkend: „Ich kann selbst einschätzen und entscheiden, ob ich Auto fahren kann.“ Das alles sehr langsam und schleppend vorgetragen.

 

„Yo“, sage ich, „aber in 40 Jahren hatten sie bis dato auch noch keine Kopf-OP.“

 

Ich desinfiziere mir natürlich mehrfach die Hände: Vor dem Austeilen und danach, wenn ich den Raum verlassen musste, kopiert habe etc. Ab und zu sehe ich ein paar Schülerinnen und Schüler, die ich monatelang nur online erlebt habe. Schön, sie wiederzusehen, auch wenn ich viele mit Maske erst einmal nicht erkenne.

 

„Was ist denn jetzt mit Englisch?“ ist die immer wiederkehrende Frage später in der Pause. Ich weiß es nicht. Ich weiß es seit fast zwei Wochen nicht. Wir lassen einfach das Messer im Schwein stecken.

 

Oder doch nicht? Ich will nicht mehr darüber nachdenken, gibt es doch so viel Wichtigeres für alle. Oder… doch auf einmal nicht? „Ist das da Urin in deiner Trinkflasche? Ein ganz besonderer Saft, haha?“ „Natürlich!", antworte ich und trinke beherzt an meiner Apfelschorle.

 

Ansonsten herrscht allgemeine Verunsicherung, allgemeines „Wir machen irgendwie weiter!“ Desinfektionsflaschen und Papierrollen stehen herum, die Tür und die Fenster zum Hof sind offen, es wird gut gelüftet. Was machen wir im Herbst?

Was passiert, wenn? Was passiert morgen? Das weiß niemand, jetzt ist jetzt ist heute ist Weitermachen.

 

Im Treppenhaus erneuter Lärm, als der Hausmeister defekte Stühle über das Tränenblech der  gebäudeverbindenden Brücken schiebt und sie in einem Flur sammelt. In seinem karierten Hemd mit dem Schlauchschal, der als Maske fungiert, hat er was von Westernheld. Ich schleppe mich die erste  Treppe hoch, der Hausmeister sitzt Probe auf einem der Stühle, dann auf dem nächsten, ich muss lachen, es hat was von Perfomance-Kunst, auch er kichert „Hihihi“, „besitzt“ weitere Stühle, ich erklimme die nächste Treppe und höre ihn noch, muss wieder lachen, was ihn zum Lachen bringt. Unser Gelächter klingt noch ein bisschen im Treppenhaus nach und heitert mich ein bisschen auf.

 

Denn eigentlich finde ich momentan wenig komisch. In der Pause rette ich mich in einen ruhigen Raum und teile mein Brot mit den Wespen. Ich will immer noch rauchen. Später muss unbedingt bei der Kollegin „getriggert“ werden, wie wir es nennen. Nach der Pause habe ich das falsche Klassenbuch und platze entsprechend prompt in den falschen Raum, ein Kollege fängt mich im Lehrerzimmer ab und fordert das Klassenbuch, welches er suchte, außerdem dirigiert er mich in den richtigen Raum. „Ist doch jetzt ungrade Woche, da sitzen die in zweihundertdings!“ Ach so. Oder war es grade Woche? Egal!

 

Nach dem letzten Block, in dem es erfreulicherweise gute Stimmung und Interesse gab, sagen die Schüler: „Das hat Spaß gemacht“ und wünschen mir noch einen schönen Tag.

 

Wir stehen dann noch draußen, die Lieblingskollegen und ich, und rauchen und reden über Suppen.

Irgendwie ist schon Herbst.

© Sandra Windges

 

 

 

 

 

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