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Wer sind Marika Rökk und Joseph Goebbels? Die Generationenklammer. Die Generationengrätsche.

 

 

„Every generation got its own disease…“

 

Fury in the slaughterhouse

 

 

 

 

Marika liked Hormocenta 

 

 

Warum ich letzter Tage im Internet nach Marika Rökk suchte, ist mir entfallen, doch dafür ist mir bei der Suche etwas AUFGEfallen, nämlich, dass sie keine trällernde Revuefilmchendrossel mit einem Faible für schräge Hautcremes war, sondern eine sehr ambitionierte Künstlerin in ihren Fächern Tanz, Schauspielerei und Gesang. Vom heutigen Standpunkt aus betrachtet, wirken diese alten Filmchen schon ein wenig albern, die Darbietung  etwas zappelig und rührend „sexy“. Früher habe ich nie auf Kostüme, Bühnenbild und Ähnliches geachtet und so war mein nun erwachsenes Auge damit beschäftigt, alle Details zu studieren und ich damit, hinlänglich überrascht, wenn nicht sogar beeindruckt zu sein. Diese gefühlten 65 Mädels, die die Chorus Line bildeten und diese niedlichen, neckischen, mit Noten bestickten Kostümchen trugen. Die Showtreppe. Und Glitzer hier und Tanzschühchchenschwingen da.

 

 

Die Viten der alten Garde   

 

 

Auch las ich noch einmal über den von mir geschätzten Heinz Rühmann und über Theo Lingen und wie sie alle hießen, die Stars von damals. Meine Generation ist mit diesen seinerzeit schon „alten Schinken“ großgeworden, sie gehörten einfach zur Film- und Fernsehwelt dazu, die ohnehin in meiner Kindheit und Jugend mehr als überschaubar war. Mit Verblüffung studierte ich die Viten der alten Garde an deutschsprachigen Schauspielern und sah mir Filmausschnitte an und dachte so bei mir, dass, wenn Schwarzweißfilm auf Youtube stößt, eigentlich zwei Paralleluniversen aufeinanderprallen, und ich das nicht nur unglaublich spannend, sondern auch sehr interessant finde. Das 15jährige, bereits mehrfach erwähnte Pubertantchen hatte sich mal wieder der Länge nach auf mich geworfen, blickte gelangweilt auf den Bildschirm, wo sich- die- Seele- aus- dem- Leib- stepptanzende Menschen herumwirbelten. „Ich finde Steppen doof. Das sieht so albern aus.“

 

Ahso. Ich hielt dagegen, dass es keine einfache Sache sei und ich es mir sehr gerne anschaue und immer angeschaut habe und dass das Kind sowieso keine Ahnung habe, ich sei mit diesen Filmen aufgewachsen und sehe jetzt erst, wieviel Blut, Schweiß und Tränen darin steckten undsoweiter.

 

 

Berührungspunkte und Die Feuerzangenbowle

 

 

Und: Dass mir in letzter Zeit immer stärker auffalle, dass die Generation unserer Tochter null Berührungspunkte zum Krieg und zur Kriegsgeneration mehr habe.

 

Auch die alten Filme sind so ein Indiz dafür, wurden sie doch in den Anfang dreißiger bis Anfang oder gar fast Mitte vierziger Jahren gedreht und sind heutzutage nicht allzu häufig im TV zu sehen. Man bedenke: Die Feuerzangenbowle!1944! Die Darsteller mussten bei Alarm in den Schutzkeller, natürlich, und der Krieg war fast verloren. Alle Schauspieler, die noch drehten, mussten sich ab spätestens 1933 fügen, um weiter ihre Karriere verfolgen zu können. Das ist bekannt. Heutzutage ist es ein Leichtes, darüber die Nase zu rümpfen. Ich frage mich, was unsereiner getan hätte. Wir sehen das Ganze heute aus einer anderen Perspektive und können gut schlauschwätzen.

 

See der Zeit

 

Den Zweiten Weltkrieg und alles was dazu führte, was davor und währenddessen und danach geschah, sehe ich wie einen gigantischen Stein, der in ein Gewässer geworfen wurde, sozusagen in den See der Zeit, der Welt, und der einen Tsunami ausgelöst hat. Und bis in meine Kindheit und Jugend, eigentlich bis heute, bilden sich immer noch weite Ringe um die Einwurfstelle, wird das Wasser bewegt, kräuselt sich – es ist noch immer etwas spürbar und sichtbar. Aber nur, wenn man hinsieht und nachfühlt und sich interessiert.

 

 

Generationenklammer

 

 

„In meiner Kindheit war der Krieg in gewisser Weise noch immer allgegenwärtig“, erkläre ich unserer Tochter.

Das Naziregime, der Krieg, steckte uns noch irgendwie in den Knochen. Versatzstücke aus der Erinnerung meiner Großeltern, Filme, Unterrichtsstoff, die Frage, warum in meinem Geburtsjahr die Studentenrevolte losbrach, fügten sich zu einer Art lückenhaften Puzzle oder Mosaik zusammen oder eben auch nicht. Alles, was unter den Teppich gekehrt worden war, die unausgesprochene Schuld und die nicht verarbeiteten Traumata. Meine Generation bildet noch eine Klammer, so scheint mir, zwischen diesen Zeiten. Deshalb sind wir an manchen Stellen auch ein bisschen verkorkst und verstrahlt. Auch wenn unsere (Groß-) Eltern versucht haben, alles wegzuwirtschaftswundern.

 

 

 

Rosa Kaninchen. Generationengrätsche.

 

 

Neben dem Tagebuch der Anne Frank war „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“ eines meiner Lieblingsbücher. Ich konnte mich mit den Figuren in den Büchern, ebenfalls Kinder, Heranwachsende, identifizieren und lernte etwas über das Untertauchen und Flucht.

Unsere Tochter hat beide Bücher nicht, oder nicht zu Ende gelesen, dafür kann sie mit dem PC umgehen, steht auf Youtuber, hat einen Netflixaccount und sie erstellt Power Point Präsentationen für Unterrichtsthemen und sie sagt selbst, dass in ihrer Generation bisher nichts Besonderes geschehen ist. Kein Krieg, keine Revolten, keine großartigen Verbote. Kein Wundern über geschminkte Jungs, dafür Selbstverständlichkeit bei Themen, die wir noch nicht einmal kannten. Und kannten oder kennen ist auch ein Stichwort.

„Ich habe heute einen Vortrag über Joseph Goebbels als Dichter gehört. Na, wer war das noch mal?“ fragte ich bohrend. „Irgendwoher kenne ich den Namen…“, überlegte die 15jährige.

`Immerhin`, dachte ich. `Sie grätscht noch ein winziges bisschen in unsere eigentlich jüngere Geschichte hinein.`

 

 

Joseph G., Hugo J., Rheydt.

 

 

Und ich, ehemalige Schülerin des Hugo Junkers Gymnasiums in Rheydt, die Stadt, in der ich geboren und aufgewachsen bin, saß nun in diesem Vortrag über den Propagandaminister, den Volksdemagogen, den teuflischen Hinkefuß, der so gerne ein Dichter, ein Schriftsteller geworden wäre, dieselbe Schule wie ich besucht hatte -mit mehr Erfolg als ich, übrigens- und ebenfalls in Rheydt geboren und aufgewachsen war. Man hörte ihm den rheinischen Singsang auch stets an. Ich stellte mir die Frage, wie Menschen so weit kommen können, dieses gruselige Potenzial, das in ihnen schlummert, explosionsartig ausleben können und eine Schneise der Verwüstung hinter sich lassen. Sind sie sie wie elektromagnetisch aufgeladen? Und entlädt sich dieses dunkle Potenzial erst dann, wenn genügend Freiraum vorhanden ist, um gegenpolig geladene Personen ausfindig zu machen, von ihnen angezogen zu werden und mit ihnen dann die Weltherrschaft oder andere nette Dinge anzustreben?

 

Gedanken, die unser Kind so niemals hätte. Weil sein Kontext ein anderer ist.

 

Diese Teeniegeneration begreift nicht die mimischen und kommunikativen sowie darstellerischen Zitate, derer sich beispielsweise ein Herr Höcke bedient. Bei halbwegs normal gepolten Menschen zwischen ca. Mitte 40 bis Mitte 90 treten da schon Zuckungen auf, da stehen Haare zu Berge und der Puls geht in die Höhe.

 

 

 

Ich brauche keine Millionen

 

 

Jetzt fällt mir wieder ein, warum ich auf Marika Rökk im Internet stieß: Ich suchte nach dem Lied „Ich brauche keine Millionen“, weil ich diesen Satz in irgendeinem Zusammenhang einem Freund schrieb und als erstes fand ich die von Frau Rökk gesungene Version. Bin ich also doch noch nicht so verkalkt, wie ich manchmal befürchte, obwohl ein anderer Freund mir des Öfteren unter die Nase reibt, dass ich schließlich stark auf die Sechzig zugehe. Wer weiß, was in den neuneinhalb Jahren bis dahin geschieht? Die Hoffnung besteht, dass unsere Generationenklammerleute, also ich selbst auch, das Schlimmste, das wieder schwelt, im Keime werden ersticken können, vielleicht auch noch einige aus unseren Elternschaften.

 

Wir wollen auch keine Millionen. Weder Millionen Tote, noch Millionen komplett verstrahlte Lemminge, die hinter falsch gepolten, pathetischen und Pathos verbreitenden Figuren herrennen.

 

In der heutigen Vorlesung hieß es, dass derlei Vorträge eine hohe Wichtigkeit gerade für die jüngeren Generationen haben. Als Aufklärung über und Prävention vor Faschismus. Das liest und hört man öfters. Aber heute habe ich es gespürt. Wie die Wasserkringel im See der Zeit und Welt.

 

Foto: Ferdy Dittmar

 

 

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Jochen Seeholzer (Montag, 11 Februar 2019 09:27)

    Schön geschrieben und zusammengefasst! :-)

  • #2

    Gudrun Otten (Dienstag, 12 Februar 2019 16:59)

    Liebe Sandra, da war es dann wieder da, plötzlich: Dieses Gefühl tiefer Verbundenheit mit einem Menschen, den ich nicht kenne. DU ... Jemad hat Deinen Beitrag geteilt, auf facebook. Ich habe nur noch Rheydt und Göbbels und Generationengrätsche in meinen Gedanken gehabt und bin auf Deinen Blog...

    Ich komme auch aus Rheydt - Friedrich-Ebertstrasse. Ich bin auch im Hugo-Junkers zur Schule gegangen und ich habe mich auch mit der Geschichte dieser Stadt und dieser Menschen im 3. Reich beschäftigt. Das sind schon eine Menge Gemeinsamkeiten. Ich schreibe auch, genau wie Du. Mein Großvater, auch aus Rheydt, wollte Illustrator werden. Da kam der Krieg irgendwie dazwischen und er ist in Rußland "gefallen". Das war dann das Ende der Kindheit meiner Mutter. Da war sie 10. Dann kamen meine Schwester und ich viele Jahre später auf die Welt und wir haben wirklich gerne in Rheydt gelebt. Ich habe am Wochenende bei Heinemann Kuchen verkauft und im PE 12 habe ich meine Jugend verbracht.

    Irgendwie alles sehr unspektakulär und normal. Dann Studium, dann Kind, dann Umzug nach München, dann alles anders als gedacht ... das Leben und so. Mit 35 wurden die Dinge in meinem Leben so kompliziert, dass ich eine Therapie machen wollte. So 10 Stunden dachte ich mir. Mein Leben halt mal neu sortieren. Die Therapeutin meinte nach der 3. Stunde, dass ich PTBS nach dem 2. Weltkrieg habe. Das hatte ich noch nie gehört, aber im Laufe der 6 Jahre Psychoanalyse, die ich dann gemacht habe, vielen mir viele Dinge wie Schuppen von den Augen. Ich wusste plötzlich, warum alles so gekommen war. Und ich wusste, ich bin damit nicht allein. So habe ich viel geforscht in meiner Familie und meinem Umfeld.

    Ich habe gemerkt, dass die eigene Geschichte einen viel größeren Einfluss auf die Gegenwart hat, als ich es für möglich gehalten habe. Ich habe gemerkt, wie viele Menschen an diesem Trauma immer noch arbeiten. Ich habe ein kleines Buch mit einer großen Geschichte über meinen Großvater und meine Mutter geschrieben und illustriert und darin diesen beiden Menschen nochmal ein heiteres, leichtes Leben eingehaucht. Ich glaube, es sind genau diese leisen, ehrlichen Geschichten, die anderen Menschen ermöglichen mit ihrer Geschichte ins Reine zu kommen und das Leben selbst und frei zu gestalten. Meine Mutter starb mit 69 an Krebs in einem Hospiz in Erkelenz. Das Leben hatte sich von ihr geholt, was sie ihm nicht gegeben hat. Sich selbst.

    Heute schreibe ich Impulsgeschichten für Menschen an Grenzen. Mit Fragen. Erschöpft. Irgendwie. Warum? Keine Ahnung! Das sind Geschichten, die gehen ins Körpersystem. Da hat der Verstand keine große Chance ... und dann wirken sie ... oft genug Wunder ...

    Du hast mich sehr inspiriert mit Deinem Blog. Das wollte ich Dir sagen und schreiben. Könnten wir mal in Kontakt kommen? Ich grüsse Dich herzlich ... Deine Art gefällt mir. Ich lebe auf Mallorca, aber ich fliege doch so ab und an nach Deutschland. Im nächsten Jahr plane ich eine Lesereise mit Paula & Theo. So heisst das Buch.

    Ich schicke das jetzt mal ab. Freu mich.

    Gudrun