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Land hinter der Wand

 

 

 

„Klage nicht, kämpfe!“

 

Tattoos auf Waden gelten in meinem Mikro-Universum als asozial. Das ist Schubladendenken und es ist mir scheißegal. Spätestens dann, wenn ich in Wismar einen verkommenen Typen sehe, der „Klage nicht, kämpfe!“ auf der rechten, und „Der Tag der Abrechnung wird kommen“ auf der linken Wade eingestochen hat. Wenn die Frise und Kleidung passt, weiß man um die Gesinnung dieser Kreaturen.

 

Wismar in Mecklenburg-Vorpommern scheint eines der natürlichen Habitats von Neonazis zu sein, neben Sachsen und Sachsen-Anhalt, wie ja überhaupt fast alle ehemaligen Ostgebiete, wie ich sie ironisierend nenne, komplett braunverseucht sind (Achtung: Vorurteil, Medien, Erfahrungen).

 

Es gibt jedoch viele Verwandte dieser verlorenen Seelen auch „bei uns“ im Westen, im Ruhrpott und in Düsseldorf, in Hamburg und in Bayern, in allen Städten und Bundesländern, auch das ist kein Geheimnis, die Sache ist nur die: In der Ex-DDR haben die Rechten kein Problem damit, ihre Gesinnung ganz öffentlich und ohne Scham oder Vorsicht zu präsentieren. T-Shirts mit rechten Bildchen und Sprüchen oder Emblemen scheint es dort an jeder Ecke zu geben, getragen werden sie ganz offensichtlich gerne und- natürlich- mit Bock auf Provokation oder Zustimmung. Und niemand schaut schräg, außer uns Touristen aus NRW, die erst ein paarmal schlucken und verblüfft mit den Augen plinkern müssen, um diese ganze Mentalität des sich-Abkapselns und des sich-diametral- zur- Demokratie-verhaltens als Echt wahrzunehmen. In den ersten Momenten glaubt man ja noch, es läge an einem selbst, dass man dort so unfreundlich mit „Fremden“ jeder Couleur umgeht.

 

 

Xenophobie allerorten

 

Und natürlich ist alles fremd, was nicht unmittelbar zum eigenen Leben passt. Weltoffenheit, Bildung, Interesse, Selbstreflexion, eigene Beweglichkeit, Mut. Ja, Mut. Mut, sich aus seinen Gefilden, innerlich und äußerlich zu bewegen und erst einmal den Gegencheck zu machen, ob wir nicht doch alle in einem Boot sitzen. Ob der Fall der Mauer nicht doch ein Geschenk war, der nicht nur Begrüßungsgeld, Bananen und BMW brachte, sondern FREIHEIT. Freiheit zu denken und zu reisen und zu wählen und seine Meinung kundzutun. Gut, Letzteres tun „die“ ja durch Körperbilder und Shirts und Aufmärsche und Parolen.

 

Der Fall der Mauer hat ja auch nicht nur eine widerliche „Wessimethode“ unwissende Ex-DDRler um Hab und Gut und Jobs zu bringen nach sich gezogen, was leider und beschämenswerterweise geschehen ist, sondern echte Freude darüber, dass dieses Land endlich wieder EINS ist. Dass Familien einander wieder ohne Bürokratieterror und Ressentiments besuchen und in die Arme fallen konnten, dass nun alle an einem Strang ziehen konnten. Was nicht passierte. Was passierte, war der Soli, unter dem die Westdeutschen ächzten und der immer noch nicht abgeschafft, dafür aber in dunklen Kanälen oder in Form unbefahrener Autobahnen in der Lausitz-Nordwest verjubelt wurde. Wie soll man das der Bevölkerung schmackhaft machen?

 

Als die Mauer fiel, war der Hype groß und das Erwachen ernüchternd. Oh, im Kapitalismus muss man sich um Jobs bewerben und arbeiten. Oh, es gibt gar nicht mehr so viele Jobs? Oh, die Ostdeutschen waren immer schon so xenophob? Oh, wir machen Witze über die Ostdeutschen, ihre Dialekte und ihre Autos und das kommt gar nicht gut an?

 

 

 

Offene Wunde Volk

 

Die Mauer war gefallen und das Volk wurde sich selbst überlassen. Wie eine offene Wunde, die eine Kruste bilden und wieder feini zusammenwachsen sollte. So ganz von selbst, da musste nur Luft dran.

 

Da wuchs aber nichts zusammen. Da wuchsen höchstens Frust, Vorurteile, Ängste und Hass. Denn wir von hüben und „die von drüben“ haben sich letztendlich nie so recht kennengelernt.

 

Wir sind keine Selbstläufer, wir gesplitteten Einwohner dieses Landes, wir hätten auf beiden Seiten ein wenig an die Hand genommen werden, hätten uns untereinander austauschen müssen, so wie es auch in Multikultibegnungsstätten gemacht wird. Wir sind in gewisser Weise auch Multikulti, wenn dieser Begriff mir auch etwas zu naiv-bunt hierbei zu sein scheint.

 

Als ich die Menschen in Wismar erlebte, hatte ich das Gefühl, dass sie immer noch die Mauer in sich tragen und gleichsam um sich ziehen, eine gläserne Wand, nicht sicht- aber fühlbar so wie in dem Film „Die Wand“. Weil sie es wollen? Aus „Notwehr“?

 

„Wat de Buur nit kennt, da fritt hä nit“ heißt es hier bei uns. „Was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht“: Also frisst er sein ganzes Leben lang nur Kartoffeln, Fleisch und Apfelkompott. Da komme mal bloß keiner mit Kiwi daher! Jo, diese Mentalität gibt und gab es hüben wie drüben, und auch in niederrheinischen Dörfern gibt es sehr viele Wände, Vorurteile und rechtes Gedankengut. In Mecklenburg-Vorpommern wird man nur sehr schwer Kontakte knüpfen können; ich habe dasselbe aber auch hier im ehemaligen Heimatdorf erlebt: Biste nicht bei der Freiwilligen Feuerwehr oder im Schützenzuch oder in der Kirche engagiert bleibste mal schön draußen. Ist dieses Gehabe also ein gesamtdeutsches Problem? Und, machen wir uns nichts vor, wenn Adenauer gesagt hat, „man solle kein schmutziges Wasser ausgießen bevor man kein sauberes habe“ und damit die Nazis im Staatsdienst und anderen Schaltstellen des öffentlichen und judikativen etc. Lebens meinte, dann wurden Nazis doch schon immer und immer noch toleriert. Sie haben sich nur über die Jahre ein Wämslein in demokratischen Farben übergeworfen. Die braune Brut köchelte und köchelt immer weiter, wie das Magma in der Vulkaneifel oder so.

 

Jetzt sind die Schleusen wieder offener, es gibt neue Feindbilder und schöngeschminkte Arbeitslosenzahlen. Das führt zu Eruptionen. Besonders „da drüben“.

 

 

 

 

 

Urlaub im rechten Teil

 

Da sitzt man eigentlich heimelig in Meckpomnesien am Hafen und futtert was Schönes und um einen herum wimmelt es auf einmal von Neonazis und man spricht darüber :„Gibt es doch nicht!“ „Doch, obwohl es sich hierbei um eine Generation handelt, die noch nicht einmal mit der Mauer aufwuchs, aber familiär geprägt wurde.“ Weiterdenken war und ist „da drüben“ nicht en vogue. Man ist unfreundlich und nicht gastfreundlich. In Lokalen würde man am liebsten mit der Schaufel verjagt, wird nicht bedient, nicht beachtet, unfreundlich behandelt. Man kennt es ja nicht anders. Auch hier bestätigen Ausnahmen die Regel. Das gibt und gab es “hier bei uns“ auch, doch nicht so geballt.

 

Sick of that all

 

Mich fucked das ab. Total. Dort wie hier. Die vermeintlich „Abgehängten“ formieren sich, marschieren und grölen; sie sitzen auf der wunderschönen Insel Rügen, mit kahlrasierten Schädeln und hissen die Reichsfahne und denken, da kommen jetzt Jobs und Geld die Ostsee entlanggeschippert. Tuut! Das geschieht so wenig wie hier, da fließt auch kein Wohlstand den Rhein entlang und man muss nur am Ufer sitzen und die Angel auswerfen. Das sorgt für Frust und die Frustrierten und die Hassenden aus dem Westen sah ich heute bei einer Demo in Mönchengladbach. Optisch erfüllten sie das Klischee zu 100Prozent: Adi, Posi und Tas waren schlecht gekleidet, fies bemalt und übelst frisiert, dumpf,  und latent oder offen gewaltbereit. Es liefen jedoch auch ganz normal Aussehende am rechten Ufer entlang. Gruselig. Und die Politik schickte keinen Vertreter, so wie es letztes Jahr in Dresden der Fall war. Farbe bekennen und ein großes „Nein“, eine strikte Nulltoleranz-Aussage zu diesem Mob, der inzwischen alles infiltriert. Zu langes schweigendes Zusehen und nicht-Ernstnehmen. Ist es schon zu spät? Von mir aus können sich die Rechten aller Länder vereinigen und ihren eigenen Staat bilden, viel Vergnügen darin, auch und gerade den Frauen, die sich als Gebärmaschinen zur Verfügung stellen wollen, die ansonsten die Klappe zu halten haben. Ich mach da nicht mit, in meinem Alter naturgemäß sowieso nicht mehr. So wie es aussieht, machen da viele nicht mit. Ich hoffe, es werden immer mehr, die das auch kundtun. Ich hoffe, es gibt noch einen gewaltigen Ruck in ein normales, demokratisches Leben. Möglich ist es.

 

Foto: Sandra Windges

 

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