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Polka

 

 

 

 

Es ist August und es ist heiß, aber die Hitze hat eine andere Qualität als in den Wochen davor, ist doch die drückende Schwüle gewichen und hat einem sich ganz normal anfühlenden Sommerwetter Raum gegeben. Ich durchfahre diesen Raum mit dem Fahrrad und der Fahrtwind kühlt, die Sonne bräunt die Haut und leuchtet die Landschaft aus – es ist perfekt. Eine Temperatur, die nicht erschlägt, sondern umarmt, ein Licht, das nicht mehr grell und erbarmungslos blendet, sondern am frühen Morgen verheißungsvoll dunstig über dem Wasser liegt. Dieser Dunst verblendet die Sonne noch ein wenig, wie ein dünnes Mulltuch. Die Ferien sind vorüber, aber das hier, dieser Samstag ist mehr Ferientag als die offiziellen und reglementierten Urlaubswochen davor. Ich schalte ´runter, nicht nur die Gänge meines Fahrrads.

 

Endlich kann ich mit allen Sinnen genießen und aufatmen, ich nehme die blauen Blümeleins wahr, die den etwas holprigen Weg säumen, und sauge den punktuellen Duft von welkem Laub und reifer Wärme auf. Es präsentieren und schenken sich mir: Duftpunkte, Lichtpunkte, Geräuschpunkte, perfekter-Moment-Punkte. Wohlfühltupfen, stupfig aufgesetzt wie mit einem weichen, dicken und runden Haarpinsel auf dieses Gemälde eines lebendigen Sommersamstagsbildes. Tupfen, ungleichmäßig umrandet, weil das Licht sich nicht an Geometrie hält und Gerüche gerne ein wenig ausfransen; Punkte, die kreisrund sind, Licht und Schatten des Blattwerks exakt liniert, weil der Wind auch mal schweigt.

 

Bei Punkten denke an Polka Dots. Jeder schöne Erlebnispunkt ist eine kleine Tanzfläche für ein Ründchen Polka. Auf dem weiteren Weg die zarten Lämmchen, die ihre winzigen Mäh-Laute ausstoßen (bin ich froh, dass ich kein Lamm mehr esse, denke ich), während das Mutterschaf versucht, ihnen eine Kuhle ins Erdreich zu scharren, damit ihre Babys es kühler haben. Lange schaue ich mir diese kleine Familie an und fühle mich beschenkt; fühle mich beschenkt an einem Denk- oder besser Mahnmal, welches ich noch nie vorher wahrgenommen habe, fühle mich beschenkt, als ich vor zwei Museen ganz ausdrücklich mit den Füßen im Brunnen plantschen darf, ein verliebtes Pärchen sehe und andere Menschen, unter anderem den Herzensmann, die hier einfach nur in den Liegestühlen chillen und genau wie ich für eine kurze Zeit vergessen (wollen) wie viel Ungemach es doch derzeit gibt.

 

Heute ist es nicht unangenehm zu schwitzen, ich weiß ja, sobald ich wieder auf dem Sattel sitze und in die Pedale trete, bilden die Wärme und der Wind ein ausgewogenes Wohlfühl-Luftbad. Dieses Gefühl von Freiheit, einfach anhalten und wieder weiterfahren zu können, ohne Fahrplan oder Parkplatzsuche. Ich sehe Details, ich kann an Blumen riechen und durch das poröse Laub fahren oder mit meinen Schuhen anderen Baumabwurf zum Knirschen bringen. Ein herrliches Geräusch! Herrlich auch das wohlverdiente Schweinebratenbrötchen - nur leicht getrübt durch die Wespenmitesser - und endlich das obligatorische Bierchen am favorisierten Büdchen mit Rheinblick vorne und Straßen(-bahn)-lärm hinten und seitlich und Menschen und Autos und diese Gebäude aus roten Backsteinen, die Kunst beherbergen – alles ein Gefühl von Heimat, wiewohl ich hier nicht wohne. Doch wie wichtig ist das? Vielleicht ist es sogar schöner, wenn man seine Wohlfühlorte gar nicht genau vor der Haustür hat. Vielleicht kommt aber auch noch das im Leben: Wohnen an einem absolut heimatigen Wohlfühlort.

 

Mit dem Fahrrad unterwegs zu sein, macht auch aus Banalitäten Besonderheiten und es gibt ein leicht prickelkribbeliges Gefühlchen von Abenteuer und Autarkie.

 

Dieser Tag schmeckt nach gerade gereiften Äpfeln, nach Cappuchino, nach frischgezapftem Altbier, nach Küssen und nach Staub.

 

Auch schmeckt er ein bisschen nach Melancholie, nach diesem Ziehen im Bauch, das Glück und ein bisschen Trauer vereint: „…as August fades into fall*…“  

 

Höhepunkte gibt es selten in Serie. Obwohl… nun ja. Aber dieser Tag schmeckt nun mal nach mehr. Ich möchte ganz bald wieder ´ne Runde Polka tanzen.

 

©Sandra Windges

 

 

 

            *Melvis Chen „Estate“

 

 

 

               Photo by Raspopova Marina on Unsplash

 

 

 

 

 

 

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