Gestern war ich nervös und heute Morgen auch. Oder eher beklommen? Bedrückt? Bis dato habe ich die Gedanken an den Scheidungstermin immer ganz gut von mir weggeschoben.
Aber heute ist D-Day.
Der Noch-Gatte-Bester-Freund holt mich ab. Auf dem Weg zu seinem Auto fische ich noch schnell eine kuvertierte Weihnachtskarte einer Freundin aus dem Briefkasten und halte sie, zusammen mit zwei Kuverts, die ich gleich noch in den Postbriefkasten werfen will, in der Hand. Noch ein kurzer Stopp an der gelben Schlitzbox und es geht weiter.
Am Ziel angekommen kreisen wir etliche Male um das Gerichtsgebäude, auf der Suche nach einem Behindertenparkplatz. Wir zwei, die sich 1998, also noch im letzten Jahrtausend, das Ja-Wort gaben, der eine, chronisch erkrankt an MS, die eine, also ich, zum zweiten Male mit Burn out und depressiver Episode geschlagen. Toll, wie alles so kommt im Leben.
Da wir damals „Ja“ sagten, müssen wir dann heute „Nein“ sagen?
Der Parkplatz hinter dem Gerichtsgebäude ist beschrankt und beschränkt, soll sagen: wir kommen da nicht hin, außerdem sieht er ziemlich vollgeparkt aus. Blöd aber auch, denn dort befindet sich der Zugang für Behinderte. Irgendwann werden wir woanders fündig. Als wir zu Fuß dann die Schranke passieren, sehen wir das Schild: „Parkplatz für Behinderte und Lieferanten (aha), bitte folgende Telefonnummer anrufen…“
„Das hing da eben noch nicht!“, sagt mein Rolli fahrender fast-Ex-Gatte und ich stimme ihm zu.
Im Gebäude müssen wir noch ein wenig in einem relativ schmalen Gang warten, denn wir sind etwas zu früh dran. Merkwürdig, ich hatte mir diesen Ort anders vorgestellt.
„Hier sieht es aus wie…“, setze ich an.“ „…im Kindergarten.“, vervollständigt mein Begleiter. Tatsächlich gibt es hier auch eine Spielecke. Familiengericht halt. Muss unangenehm sein, hier zu verweilen, wenn man sich richtig gezofft hat und sich dann auf so engem Raum wiederbegegnet.
Wir reden über dies und das und der Mann, dessen Namen ich trage, mutmaßt, dass der Anwalt einen Pullunder tragen wird, weil er diesen bei unseren Terminen bisher immer trug. Ich muss darüber schmunzeln und dann kommt der Genannte auch schon um die Ecke, bald darauf die Richterin, die den für gegen Corona ausstaffierten kleinen Sitzungsraum aufschließt.
Das Ganze dauert dann nur wenige Minuten; die meiste Zeit brabbelt die Juristin etwas in ihr Diktiergerät, ich setze wegen der Trennwände die Maske ab, der Anwalt entledigt sich kurz seines Mantels und zum Vorschein kommt – der Pullunder! Da wir in diesem Moment bereits im Gehen begriffen sind, habe ich die Maske wieder auf, aber der frischgebackene Ex-Ehemann sieht meinen Blick und mein Grinsen trotzdem.
Wir müssen übrigens zu nichts „Nein“, sondern mehrfach „Ja“ sagen. Verrückte Welt.
Eigentlich wären wir beide danach gerne noch schön essen gegangen (zum “Ausklang“), aber die Pandemie macht uns einen Strich durch die Rechnung. „Wir können ja noch nicht einmal Kaffee trinken gehen!“ „Nee“, sage ich bedauernd, da ich mich noch stark im Koffein-Soll befinde. „Höchstens bei Mäckes, so drive thru.“ „Au ja, aber ich hätte gerne einen Cappuschäno!“, sage ich ein bisschen erfreut. Mein geschiedener Mann hangelt nach dem Anschnallgurt. „Den muss ich dir aber vom Versorgungsausgleich abziehen.“ Ich lache minutenlang darüber und weiß wieder einmal, warum ich ihn damals heiraten wollte. Beim Schotten sind wir fasziniert ob des Angebotes (Mac Rösti, Mac Surf ´n´ Turf und so ´ne Sachen) und ordern dann zwei Cappucino, einen Cheeseburger, einen Fishmac und zwei - die müssen sein weil Klassiker!- heiße Apfeltaschen.
Es regnet ohne Pause, ich war ewig nicht bei Mc Donald´s und wie ist das jetzt mit den Geschenken? Immerhin ist nächste Woche das Christfest.
Als wir damals heirateten, gab es im Anschluss ans Standesamt Roastbeef mit Sauce Bearnaise. Ich mochte beides nicht, wohl aber alle Beilagen. Es war ein schöner, sonniger Tag, 24 Stunden nach meinem 30. Geburtstag.
Der Fischmac schmeckt, wie er schon immer geschmeckt hat, und korrespondiert tatsächlich mit dem Heißgetränk. Im Anschluss noch ´ne Zigarette. Ab und zu bewegt sich der Scheibenwischer.
Als wir wieder bei mir zuhause angekommen sind, suche ich in meinem Rucksack nach der Weihnachtskarte der Freundin.
Ich habe sie mit der übrigen Post in den Briefkasten geworfen.
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Angelika Hermichen (Dienstag, 15 Dezember 2020 23:31)
Sehr schwung- und stimmungsvoll. Wie zu erwarten von Sandra Windges.
Und wenn auch nicht besonders gelb, sondern eher blues, schimmert doch gewaltiger Humor durch und erinnert an eigene durchgestandene Verfahren - schallendes Gelächter kommt auf.
Und rettet den Nachtschlaf: das Grinsen im Gesicht wirkt sich auf die Träume aus. Was man doch alles gut überstanden hat, auch gemeinsam zu Ende gebracht....
Beste Aussichten Frau Windges!
Herzlichst...