Ich vergrabe meine Nase im gelben Stoff meines Kleides, schließe die Augen und sauge den Duft ein. So hat Rom gerochen. Ich höre die Tauben wieder im Hinterhof gurren und den Lärm von der Straße nach vorne raus. Durch das kleine Fenster sticht die Sonne in den Raum. Die Stadt hat anders gerochen als das, was jetzt dem Baumwollstoff anhaftet, abgasiger, kloakiger bisweilen, kaffeegeschwängert, parfümiert, staubig, hitzig. Aber die Airbnb-Bude hatte diesen Geruch, dessentwegen ich immer noch nicht dieses Sommerkleidchen gewaschen habe, sondern es immer noch als olfaktorische Erinnerung nutze. Fernweh? Schnüffeln. Trueman-Show-Feeling? Schnüffeln. Keine Energie? Schnüffeln.
Woanders riecht es anders. Kein Wunder, denn bei uns wachsen keine Pinien oder Zypressen. Und das Meer ist viel weiter entfernt.
In der Provence hat es anders gerochen als in Rom, im Garten nach Swimmingpool und Sonne, nach trockenem Laub und vielleicht auch nach dem Blau des Himmels. In den Orten nach altem Gemäuer und Geschichte und Leben und Feuchtigkeit in den alten Hauswänden und nach Essen und alles hat so eine Akzeptanz der Ist-Situation ausgestrahlt. Das kann aber auch nur eine Touristenattraktion gewesen sein, denn was wissen wir schon vom wirklichen Leben und Überleben der Franzosen? In einer strukturschwachen Gegend? Was mir pittoresk erscheint, mag in Wirklichkeit eine kleine trotzige Geste gegen Verfall und unfähige Politik sein. Oder es ist ein nicht-Hinterfragen. Es wird halt einfach gelebt.
Automatisch bewege ich mich dort langsamer, schaue mir alles bis ins kleinste Detail an, staune über schiefe Häuser und altes Straßenpflaster, sauge die Schönheit in mich auf wie ein Schwamm, genieße die Laute der anderen Sprache. Da werden die Vokale und Konsonanten ein wenig verschoben, das grammatische System anders gestrickt und schon hat man eine andere Sprache. Na ja, so ähnlich. Gesten haben andere Bedeutungen und man nähert sich einander vorsichtig, denn Missverständnisse sind unter Umständen voll peinlich, genau wie Sprachlosigkeit, die aus einem Mangel an Vokabeln in die mühsame Kommunikation grätscht. Dabei ist das doch der Spaß! Wenn die nette junge Frau im kleinen Hotel, in dem wir zwischenübernachten mich im Frühstücksraum etwas auf Französisch fragt und ich automatisch „Café“ antworte, sie aber tatsächlich unsere Zimmernummer wissen möchte, lache ich noch lange darüber. Zuhause verstehen mich zwar alle, aber sie wissen deswegen oft noch lange nicht unbedingt, wovon die Rede ist.
Sprache, schöne Aus- und Ansichten und Geschmäcke sind Kulisse und Drehbuch für den Aufenthalt an Orten fernab der Heimat. Frankreich ist für mich die dunkle Honigsauce zur gegrillten Entenbrust und die selbstgemachte Zitronenlimonade in der Provence und das kleine Apfeltartelette im Burgund.
Wie sehr mir der Süden gefehlt hat nach Urlauben an Ost- und Nordsee spüre ich erst, als ich da bin. Endlich Zuckerguss! Endlich wieder im Mittelmeer baden, keine Überwindung ist nötig, und die Vibes sind eh ganz andere. Ich fühle mich wieder wie damals, als Kind, als ich stundenlang im Wasser geblieben bin und die Mundwinkel bewegen sich glücklich automatisch nach oben. Und in den kleinen, ruhigen Dörfern und Städtchen kann dem Plätschern der vielen Brunnen lauschen und versuchen, etwas vom am Nebentisch Gesprochenen zu verstehen.
In Rom kriegt man die Akustik mit voller Wucht ums Gehör gehauen. Autos, motorisierte Zweiräder, noch mehr Autos, Schwärme von Menschen, die sich alle so unendlich viel zu erzählen haben, Martinshörner im Minutentakt, Busse und die Tram. Ein Mann telefoniert mit dem ganzen Körper, obwohl man ihn am anderen Ende nur hören kann, aber egal, die Mimik verändert sich und auf einmal krümmt er sich, geht ein bisschen in die Knie und gestikuliert. Ich finde das fabelhaft. Oft werden wir angesprochen, woher wir denn kommen, in einem Lokal erfahre ich, dass der Sohn des Kellners Deutsch und Englisch lernt in der Schule und sehr gut darin ist, Deutsch sei ja sehr schwierig zu lernen und ich stimme ihm zu, eine Dame in einem Geschäft ist entzückt von meiner Tochter, uns, meiner Ansteckblüte und wir haben eine netten kurzen Dialog und alles ist viel offener und herzlicher, obwohl wir uns in einer Millionenstadt befinden und die Männer hier schauen die Frauen anders an als bei uns daheim. Flirten ist selbstverständlich und es bleibt immer Zeit dazu, wie in der Schlange an der Gepäckaufbewahrung am Bahnhof, wo der Schichtführer oder was auch immer er für eine Position inne hat, die Menschenschlange passiert und in verschiedenen Sprachen darauf hinweist, dass man eine Stunde vor der jeweiligen Abfahrt wieder da sein muss wegen des großen Andrangs, und dann bekomme ich mit, wie er ungefähr in der Mitte der Anstehenden kurz Halt macht und nonchalant lächelnd sagt: „Ciao, ragazzi! Where are you from?“ und die drei angesprochenen jungen Damen etwas verlegen kichern. Herrlich! Das versüßt einem doch den Arbeitsstress! I love it!
Während Südfrankreich der Zuckerguss war auf Herz und Seele, hat Rom den Schleier gelüftet. Einen Schleier, von dem ich gar nicht wusste, dass er über mir oder meinem Leben lag. Diese ganze Energie, die dort herrscht, sorgt dafür, dass ich zwar jeden Abend komplett durchgeschwitzt und hundskaputt in der Unterkunft ankomme; sie sorgt aber auch dafür, dass ICH endlich mal von einer externen Energie profitieren kann und mal nicht die Energiequelle bin oder sein soll, dass ICH daraus schöpfen kann, ganz automatisch. Ich bin erstaunlicherweise gar nicht überreizt vom Lärm und den Eindrücken, obwohl ich sonst doch so viel Ruhe brauche. Die Energie vibriert aufs Angenehmste und versprüht Lebenslust und eine Freude am Genießen, die mir in meinem sonstigen Leben immer etwas schattiert, gedämpft vorkommt. Aber das wird mir alles erst klar, als ich dort bin, in der ewigen Stadt, wieder umgeben von uralten Steinen, Straßen, Schmutz, Blumen, gutgekleideten Menschen, fliegenden Händlern, Schönheit, Lebenslust, Historie, als ich viermal hintereinander Spaghetti Vongole esse und morgens den besten und günstigsten Cappuccino trinke, begleitet von einem frischgebackenen Cornetto mit Pistazienfüllung. Draußen, an einem winzigen Tisch, ein paar Meter von der stark frequentierten Straße entfernt, wo Männer in Anzügen auf Motorrädern oder Vespas vorbeibrausen oder sich an der roten Ampel erst einmal ganz gechillt eine Zigarette aus dem “Kofferraum“ unter der Sitzbank zuppeln und diese genüsslich anzünden, bevor es weitergeht. Auch die hübschen Frauen machen “bella figura“ und die Hunde sind fast noch süßer als bei uns.
Die ItalienerInnen leben lieber, als zu jammern und zu klagen, sie gehen mit den Unbilden des Lebens und vor allem der Politik anders um, als wir Tedesci, sagt meine Freundin, die länger im Land, wo die Zitronen blühen, gelebt hat. Und als ich nach der Rückkehr noch ganz aus dem Häuschen bin und zuhause alles extrem lame und bräsig finde, meint meine andere Freundin, aus einer Touristadt aufs Dorf zurück zu kommen, entschleunige per Vollbremsung.
Tja. Was bleibt, sind leere „Pelforth-Bierflaschen aus Frankreich, die ich heute dann doch doch im Container entsorgte, Souvenirs in Form von Restaurant-Visitenkarten aus Rom, Fotos…
Und das gelbe Kleid.
Ich werde es noch lange nicht waschen.
Copyright: Sandra Windges
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Ilona (Dienstag, 03 Oktober 2023 07:13)
DAS IST DAS BESTE WAS ICH JE VON DIR GELESEN HABE ��❤️
Grazie Mille
Karin (Dienstag, 03 Oktober 2023 15:52)
Das Beste, was ich von dir bisher gelesen habe, eine wirklich tolle Beschreibung liebe Sandra
Clemens (Freitag, 01 November 2024 16:13)
Ja, Rom wäre mal wieder schön...
Oder Südfrankreich.